Manfred Holtfrerich

Bilder aus der Zehnbambushalle und andere schöne Skulpturen und Objekte

Was wäre, wenn? Wenn Manfred Holtfrerich nach der Eröffnung seiner Ausstellung im Kunstverein von Oberhausen nicht noch in das auf dem gleichen Zechengelände gelegene Bergbaumuseum gegangen wäre? Wenn Manfred Holtfrerich nicht unter den zahlreichen Souvenirs und Hochglanzpublikationen des Museumsshops das schmale Heftchen mit den so eigentümlich steif und archaisch anmutenden Darstellungen der Bergbaugewerke, die anlässlich des Geburtstages des Direktors einer Zinkhütte in den Vogesen im Jahre 1868 inszeniert wurden, gefunden hätte? Fasziniert von den alten Fotografien erwarb Holtfrerich die Publikation, ohne bereits zu wissen, wozu er sie verwenden wollte. Die Geschichte der Hüttenarbeiter von Manfred Holtfrerich zeigt nicht nur seine eigene Aufgeschlossenheit dem Neuen und Unerwarteten gegenüber, sie ist auch eine Geschichte über die Anstöße, die Zufallsfunde in der künstlerischen Produktion auslösen können.

Und dann ist es vielleicht doch kein Zufall, denn die Bilder enthalten viele Elemente, die Manfred Holtfrerich schon früher an Porträts interessierten und zur eigenen Produktion anregten: Bereits in den frühen Achtziger Jahren hatte Holtfrerich sich für die Haptik alter Buchpublikationen vom Beginn des 20. Jahrhunderts mit den sorgfältig ausgeführten Tiefdruckreproduktionen der Gemälde alter Meister begeistert. Dort waren ihm besonders die Porträts Holbeins aufgefallen, die in ihrer Isoliertheit und steifen Archaik Holtfrerich, der sich mit konkreter Malerei befasste, als Vorlage interessierten. Er versah die Kopie des Porträts einer jungen Frau mit einem orangefarben leuchtendem Rand, kontrastierte so das schwarzweiße des alten Druckes mit der auffallenden Farbe und isolierte das Bild, das er zugleich rahmte und zu einem Bestandteil seiner eigenen Arbeit erklärte.

Mittel dieser Arbeiten ist die Fotokopie: Wiederholt kopiert Manfred Holtfrerich Fotografien und Tiefdrucke hoch – zum Teil, bis sich das Motiv in einer pointillistischen Akkumulation von weißen und schwarzen Punkten auflöst. Die Serie der Bergarbeiter, die in der Katalogwiedergabe an den dokumentarischen Charakter ethnologischer Fotografien der Zeit erinnert, wird durch die für die Fotokopie typischen Schlieren und Streifen verfremdet und wirkt gebrochener: Die grobe Pixelung erinnert an alte Publikationen und entrückt zusammen mit den Schlieren das Motiv dem Betrachterblick. Wie das Knistern einer alten Schallplattenaufnahme erhalten so die archaischen Bilder eine neue, emotionalere Ausstrahlung. Montiert auf Balken ragen sie in den Raum in einer von den flachen fotografischen Vorlagen abweichenden Plastizität, die durch die Größe des Abzuges eine eigene Präsenz erhält.

Stehen die Motive der montierten Schwarzweißkopien noch für sich, so werden die auf zum Teil mannshohe MDF-Platten aufgezogene Kopien von Fotografien der Hüttenarbeiter, von Abbildungen aus der Bildersammlung aus der Zehnbambushalle sowie alter Landschafts- und Porträtaufnahmen durch großflächige geometrische Formen verfremdet, die in transparent-farbigem Lack auf die schwarz-weißen Flächen aufgetragen werden. Das ursprüngliche Motiv bleibt erhalten, die farbige konkrete Form jedoch dominiert den Gesamteindruck, hebt Elemente hervor und bewirkt im Zusammenklang mit dem Ursprungsmotiv eine neue, abstrakte Sicht auf die figurative Aufnahme.

Für diese erst in den letzten zwei Jahren entstandenen transparenten Übermalungen wählt Holtfrerich differenziert abgestufte Mischungen von RAL-Farben, die er im neutralen Lack auflöst. Diese feinen Farbabstimmungen unterscheiden sich deutlich von den leuchtenden Signalfarben, die seine frühen konkreten Malereien ausmachten und den klaren Farben – meist eine Grundfarbe kombiniert mit Weiß oder Schwarz, mit denen er seine Skulpturen überzog. Die Wahl von Farbe und Form trifft Holtfrerich in Auseinandersetzung mit dem Motiv. So ist es besonders der Entscheidungsprozess, der zum Bestandteil des Kunstwerkes und des Schaffensprozesses wird und der den Künstler selbst als Entscheidungsträger in die konkrete Form einbindet. Der Lackauftrag erfolgt dann in mehreren Schichten, bis sich eine räumlich wahrnehmbare Fläche von der Grundlage abhebt, die jeglichen Gestus missen lässt. Dies steht in Kontrast zu einer anderen Serie, an der Holtfrerich bevorzugt in seinem Urlaub arbeitet und die ihm auch als Erholung von den Prozessen der konkreten Kunst dient: In täuschend ähnlicher Kopie malt er getrocknete Herbstblätter in Aquarell mit feinstem Pinsel, bis die Arbeit von dem Original kaum mehr zu unterscheiden ist. In dem meditativen Verfahren ist die „Hand“ des Künstlers und seine technische Rafinesse in jedem Strich präsent, den Entscheidungsprozess über die Darstellung überlässt Holtfrerich allerdings weitestgehend der Natur, lediglich die Auswahl der gesammelten Blätter sind noch Bestandteil seiner künstlerischen Entscheidung.

Auch in seinem skulpturalen Schaffen hat sich das Farbspektrum, in dem Holtfrerich seine überdimensionierten Vasen oder Kannen bemalt, inzwischen gewandelt. Beeinflusst durch die neue Form, die er für seine plastischen Arbeiten gewählt hat, sind die Farben aus seiner Sicht „emotionaler“ geworden. Hatte er für die überdimensionale Darstellung einer chinesischen Teekanne, deren ideale Form er bewunderte, Signalfarben gewählt, die in ihrer großflächigen zweigeteilten Bemalung die Radikalität der Form der Kanne betonten, verlangen nun die fast weiblich anmutenden Kurven einer großen Vase nach neuen Farben. Hier dominiert die Dreiteilung der Farbe, die variantenreichere Farbkombinationen ermöglicht und durch Pastelltöne oder Gold und Grün neue Noten von Leichtigkeit und Eleganz in das Farbspektrum der Skulpturen bringt.

Im Bild wie auch in der Skulptur ist es jedoch immer wieder ein Grundthema, das Manfred Holtfrerich interessiert: Sein Interesse für das Verhältnis von zweiter und dritter Dimension und der Wirkung, welche die Fare in diesen Bereichen erzielen kann. Und so mag es auf den ersten Blick erscheinen, dass in der Ausstellung zwei Künstler präsentiert werden – ein Maler und Konzeptkünstler, der mit schwarzweißen Reproduktionen arbeitet, und ein Bildhauer, der leuchtend bunte Skulpturen zu seinem Thema gewählt hat. Tatsächlich sind es jedoch nur zwei Seiten des gleichen Themas, das Manfred Holtfrerich seit Anbeginn seines Schaffens interessiert und das er in immer neuen Varianten und Differenzierungen erkundet.

Text: Claudia Postel