Der Hamburger Künstler Manfred Holtfrerich in der Bremer Galerie für Gegenwartskunst

Farben, Flächen, Fundobjekte

Der Hamburger Künstler Manfred Holtfrerich, 61, ist ein Perfektionist. Das merkt man sofort beim Betreten seiner aktuellen Ausstellung in der Bremer Galerie für Gegenwartskunst/Barbara Claassen-Schmal. Die vier an Vasen erinnernden Wandobjekte, auf die der Blick des Besuchers gleich im ersten Raum gelenkt wird, sind von der Form her absolut identisch: Ein kurzer schlanker Hals, eine wohlgerundete Oberkörperpartie, die schlanke Taille und der ausladende Bauch geben den Gefäßen eine anthropomorphe, entfernt an die weibliche Anatomie erinnernde Anmutung. Alle vier sind in jeweils drei monochrome farbige Segmente unterteilt. Der Künstler experimentiert hier ebenso mit kräftigen Kontrasten wie mit harmonisch aufeinander abgestimmten Farbtönen. Einmal prallen Hellblau, Pink und Gelb aufeinander. Ein anderes Mal treffen sich Orange, hochglänzendes Schwarz und sanftes Grün auf einem der in den Raum ragenden Objekte. Mal sind die Farben matt, mal so brillant, dass sich Betrachter und Raum darin spiegeln. Die Reihe ließe sich theoretisch endlos fortsetzen.

Das Prinzip der offenen Serie spielt in Manfred Holtfrerichs Werk eine große Rolle. Ebenso sachlich wie zurückhaltend lautet der Titel der Schau: „Bilder und andere Objekte“. Gleichzeitig verrät der Titel aber auch, worum es dem Künstler geht: Seine hybriden Formen zwischen Malerei und Objekt, Tafelbild und Skulptur erkunden die Grauzonen zwischen den von der traditionellen Kunstgeschichte so gern getrennten Gattungen. Wann wird das Bild zum Objekt? Wann das Objekt zum Bild?

Auf erzählerische Titel verzichtet Manfred Holtfrerich. Understatement und Schnörkellosigkeit kennzeichnen das Werk dieses seit den späten 1970er Jahren kontinuierlich arbeitenden Künstlers, der bei dem Konzeptkünstler Franz Erhard Walther an der Hamburger Hochschule der Künste studiert hat und dessen Arbeiten in etlichen privaten und öffentlichen Sammlungen prominent vertreten sind. Im Kunstmuseum Bremerhaven ist seinem Werk ein ganzer Ausstellungsraum gewidmet.

Manfred Holtfrerichs Werke lassen zugleich Anklänge an die Minimal Art wie an die Farbfeldmalerei und Konzeptkunst erkennen. „What you see is what you see“. Dieser ebenso prägnante wie berühmt gewordene Satz des amerikanischen Künstlers Frank Stella lässt sich auch auf Holtfrerichs Arbeiten anwenden. Das dem Bild zugrunde liegende Konzept soll ohne Vorwissen ablesbar und unmittelbar erlebbar sein. Keine versteckten Metaphern oder mühsam dechiffrierbaren Botschaften. Ähnlich wie bei Frank Stellas Shaped Canvas-Bildern, wo die rechteckige Begrenzung der Leinwand zugunsten unregelmäßig geformter, in den Raum vordringender Bildträger aufgegegeben wurde, verlässt auch Manfred Holtfrerich das traditionelle Tafelbild und schafft in seiner Vasen-Serie hybride Formen zwischen Malerei und Skulptur. Die Form der Vase bedingt die Abmessungen der Farbfelder. Indem er Inhalt und Form so miteinander in enge Korrespondenzen setzt, negiert Holtfrerich radikal das Konzept der Abbildhaftigkeit von Malerei oder Skulptur. Er betreibt eine analytische Malerei, die die Grundvoraussetzungen und die Möglichkeiten des Mediums mit den Mitteln des Mediums untersucht, variiert und hinterfragt.

Eine andere Serie besteht aus großformatigen schwarzweißen Laserkopien, die Manfred Holtfrerich auf MDF-Platten aufgezogen hat. Die Bilder dieser Reihe zeigen konventionelle Motive. So sind zwei versetzt angeordnete, wohl holländische Windmühlen zu erkennen, deren Umrisse sich auf einer Wasseroberfläche spiegeln. Ein anderes Motiv zeigt eine in der Luft befindliche Möwe mit ausgebreiteten Flügeln. Diese in älteren Büchern gefundenen und durch mehrmaliges Fotokopieren stark verfremdeten, grafisch markanten, inhaltlich aber letztlich beliebigen Motive überzieht Manfred Holtfrerich partienweise mit transparentem Hochglanzlack, dem Farbpigmente in Grün, Gelb, Orange oder Lila hinzugefügt sind. So entstehen einzelne, stark akzentuierte Rauten oder Dreiecke, schachbrettartige Vierteilungen oder gleichmäßig horizontale Zweiteilungen der Bildvorlagen. Der Blick wird weniger aufs Motiv als auf die grafischen und formalen Eigenschaften der bearbeiteten Vorlage und des künstlerischen Resultats gelenkt. Ihren Reiz entwickeln diese Bilder aus dem ebenso sinnlichen wie konzeptuellen Spiel mit Repräsentation und Abstraktion, Einzigartigkeit und Reproduzierbarkeit, Reduktion und Aufladung.

Am verblüffendsten auf den Betrachter wirken die Aquarelle aus der Serie „Blätter“, die Holtfrerich im letzten Raum der Ausstellung in zwei übereinander hängenden Reihen präsentiert. Was im ersten Moment aussieht wie gepresstes, fotografisch oder drucktechnisch reproduziertes Laub, ist tatsächlich handgemacht. In dieser seit 1990 immer weiter anwachsenden Serie aquarelliert der Künstler gefundene Blätter mit so großer Präzision, dass selbst kleinste Adern und Nervaturen, unregelmäßige Verfärbungen und Insektenfraß präzise wiedergegeben werden. Manfred Holtfrerich, der sich in seinem Werk mit ganz unterschiedlichen Strategien der Bildaneignung, der Verfremdung und Transformation beschäftigt, setzt in dieser, immer wieder nebenbei entstehenden Serie fast auf das Gegenteil dessen, was er sonst als ästhetische Strategie bevorzugt. Er kontrolliert hier nicht den Prozess der Bildproduktion; das Bild ist ja bereits da und verlangt bloß nach Ausführung. Der Prozess des Auswählens wird an die Natur delegiert. Holtfrerich probiert hier nichts Neues aus, und er experimentiert auch nicht mit unterschiedlichen Farben und Trägermaterialien, wie er es sonst oft tut, um zur endgültigen Bild- oder Formfindung zu kommen. Stattdessen unterwirft er sich in meditativ-ritualisierter Form einem vorgefundenen Stück Natur, dessen einmalige Schönheit, Vollkommenheit oder auch Unvollkommenheit er malerisch so präzise wie nur irgend möglich reproduziert.

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing & Heiko Klaas 10.11.2009