Textblatt Weserburg, Museum moderner Kunst, Künstlerräume 02

Manfred Holtfrerich

*1948 in Nordwalde (Nordrhein-Westfalen), lebt und arbeitet in Hamburg

1990 begann Manfred Holtfrerich seine „Blatt“- Serie, eine Folge von Aquarellen auf Büttenpapier. Stets wird ein einzelnes Baumblatt immer in der Mitte des genormten Bildformats festgehalten. Die Blätter sind zufällig gefunden, vom Boden aufgelesen und gepresst, bevor sie zum Modell werden. Ihre botanische Funktion oder ihr Erhaltungszustand spielen bei der Auswahl keine besondere Rolle, bei einigen sind Schmutzspuren und Raupenlöcher präzise wiedergegeben. Was an dieser Folge verblüfft, ist nicht nur die Perfektion der Darstellung, sondern vor allem die sachliche Klarheit der Reproduktion. Nackt, ohne jedes Beiwerk, ohne schwebende Eleganz oder räumliche Tiefe sind Umriss, Farbspiel und Äderung festgehalten. Auf den ersten Blick glaubt man, mit einem getrockneten und gepressten Blatt konfrontiert zu werden, bevor man bei genauem Hinsehen die feine, exakte Maltechnik erkennt. Diese schwankende Ungewissheit stellt sich vor jedem einzelnen Bild erneut ein. In ihr kommt ein wesentlicher Aspekt der Kunst Holtfrerichs zum Vorschein: Im Unterschied zum barocken trompe-l’oeil bezweckt seine Kunst keine Augentäuschung, die, einmal erkannt, nur den Reiz des besonderen Motivs und das malerische Können vorführt. Sein Werk zielt wie die Minimal Art auf die geheimnislose Präsenz des Werks. Im Kontrast zur Fotografie, die das Abwesende im fotografischen Abbild bewahrt, verwandelt Holtfrerich seine Vorlage in ein eigenständiges Bild, das nur sich selbst repräsentiert. „Wenn es fertig ist, dann ist es einfach nur da. Dann ist es ein Blatt.“ Seine allmähliche Entstehung auf dem Papier beginnt mit einer sorgfältigen Umrisszeichnung und endet in einem langwierigen, geduldigen Farbauftrag. Es handelt sich um einen konzentrierten, immer wieder überprüften Malvorgang, einen Prozeß der Vergegenwärtigung, der die ursprüngliche Vorlage in ein autonomes Bild überführt. „Ich arbeite so lange daran, bis ich das Gefühl habe, es ist wirklich da, weiter kann man nichts machen.“

Guido Boulboullé